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Impulse #18: Geothermie – der Schatz aus der Tiefe

06. Dezember 2022

Die Energiekrise verleiht den erneuerbaren Energien den langersehnten Schub. Doch, halt: wirklich allen entsprechenden Energiequellen? Rüdiger Grimm, Geschäftsführer von geoENERGIE Konzept, meint, es sei höchste Zeit, auch das Potenzial von Erdwärme endlich zu erkennen und viel stärker zu nutzen. Er übernimmt heute im „Zero Carbon“-Editorial das Zepter von Manfred Schmitz, CEO der ENGIE Deutschland, und erläutert, weshalb Geothermie ein Gamechanger für die Wärmewende sein kann.

Geothermie – ein großer Schatz oder ein erhebliches Risiko? Kaum ein Thema im Bereich der erneuerbaren Energien ist in der Öffentlichkeit so heftig umstritten. Meine Erfahrung zeigt, dass geothermischen Anlagen leider viele Vorurteile vorauseilen. Das bedauere ich außerordentlich und setze mich seit vielen Jahren dafür ein, solchen Bedenken mit Fakten entgegenzutreten. Mit einem Irrtum möchte ich direkt zu Beginn aufräumen: Geothermie ist nicht gleich Geothermie. Es gilt, zu unterscheiden zwischen der „Oberflächennahen Geothermie“ – also die Nutzung der Erdwärme in einer Tiefe von bis zu 400 Metern – und der „Tiefengeothermie“ – nunmehr alles, was darunter liegt. Beides wird häufig vermischt, obwohl es nicht viel gemeinsam hat. Wir bei geoENERGIE Konzept, einem Tochterunternehmen der Storengy Deutschland, beschäftigen uns ausschließlich mit Oberflächennaher Geothermie. Diese Art der Erdwärmenutzung kommt ohne Fracking und tiefe Bohrungen aus. Infolgedessen ist sie sowohl im Geschäfts- als auch im Privatbereich anwendbar und eignet sich ideal für das Beheizen von Gebäuden. Das heißt: Geothermie aus Erdwärme kann entscheidend dazu beitragen, die Wärmewende voranzutreiben – und somit einen guten Teil unserer Energiesorgen zu lösen. Sie ist klimafreundlich, sie ist ganzjährig und nahezu überall verfügbar und nach menschlichem Ermessen unerschöpflich. Zudem macht sie uns unabhängig von Energieimporten. Dennoch fristete sie bisher ein Schattendasein, zumindest in Deutschland. Höchste Zeit also, die Geothermie stärker in den Fokus zu rücken!

 

 

„Wir müssen Geothermie neu denken. Wenn dies gelingt, ist sie ein riesiger Schatz auf dem Weg zur Dekarbonisierung und zum Erreichen der Wärmewende.“

 

Geothermie neu denken

Dass sich die Bedeutung der Geothermie derzeit verändert, zeigte jüngst der Europäische Geothermiekongress (EGC 2022) in Berlin. Organisiert vom European Geothermal Energy Council (EGEC) und dem deutschen Bundesverband Geothermie (BVG), dem ich seit vier Jahren als Vorstand angehöre, erfreute sich die europaweit wichtigste Branchenveranstaltung einem enormen Zulauf: Ursprünglich erwartet waren etwa 700 Teilnehmer:innen, vor Ort begrüßen durften wir mehr als 1.200 Gäste. Das Interesse war riesig, die Vorträge und Diskussionen intensiv. Besonders freute mich, dass sich unser Auftritt zu einem Besuchermagneten entwickelte. Gemeinsam mit ENGIE France aus dem Bereich der Tiefengeothermie mit internationaler Ausrichtung hatten geoENERGIE Konzept und Storengy aus dem Bereich der Oberflächennahen Geothermie und mit nationalem Fokus einen gemeinsamen Stand. Absolutes Highlight war unsere restlos ausverkaufte Exkursion zu verschiedenen Baustellen in Berlin, darunter eine Energiepfahlbaustelle in gigantischem Maßstab, wie man sie in Deutschland selten sieht. Dies war für mich ein besonderes Erlebnis und ein klares Zeichen dafür, dass die Wahrnehmung und die Rolle von Erdwärme sich langsam wandeln. Und das ist angesichts der Energiekrise und des Klimawandels absolut sinnvoll. Geothermie muss aus der Nische in die Serie.

 

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Geothermie als innovative Energietechnik

Was sagt eigentlich die Bundespolitik zur Geothermie? Tatsächlich: wenig Konkretes. Doch sie hat bereits sehr viel gesagt zu ebenso essentiellen wie hoch ambitionierten Dekarbonisierungs- und Klimaschutzzielen. Der Koalitionsvertrag gibt ein deutliches Signal in Richtung erneuerbare Wärmetechnologien, nämlich die 65-Prozent-Vorgabe für erneuerbare Energien ab 2024. Denn ohne Wärmepumpen werden die CO2-Ziele kaum zu erreichen sein – beispielsweise eben mit erdgekoppelten Wärmepumpen, die anstatt Luft Erdwärme über Erdsonden oder Kollektoren als Wärmequelle nutzen. Da kommt mir direkt ein weiteres Vorurteil in den Sinn: Wärmepumpen funktionieren zwar wunderbar bei Neubauten, nicht jedoch in der Sanierung, so die gängige These. Das ist nicht korrekt. Die Technologie kann sich sehr wohl auch im Altbau lohnen. Beispielsweise, weil sie im Endeffekt günstiger als Gas und effizienter als Strom ist. Ich halte den Effizienzaspekt für unterschätzt. Er findet zu wenig Beachtung, da uns Strom immer in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird. Jedoch hat Strom einen fossilen Fußabdruck. Bei unserem Strommix kommt derzeit 60 Prozent aus fossilen Energieträgern. In zehn Jahren sollen es noch 40 Prozent sein, der Strommix wird immer grüner. Schon heute setzt er sich im „schlimmsten Fall“ zu etwa einem Vierteil aus fossil erzeugtem Strom und zu drei Vierteln aus Erneuerbaren zusammen. Und mit grünerem Strom wird auch Erdwärme immer grüner, ohne selbst etwas dafür zu tun. Übrigens, zum Thema Neubauten: Moderne Niedrigenergiehäuser benötigen dank ihrer gedämmten Hülle kaum mehr eine Wärmeversorgung. Wohl jedoch eine Kühlung. Oberflächennahe Geothermie kann die Erdwärme auch zur Bereitstellung von Klimakälte nutzen. Diese Möglichkeit ist für gewerbliche Immobilien sehr interessant, beispielsweise für Rechenzentren. Dazu kommt, dass Geothermie ein idealer Energiespeicher ist. Erdwärme kann man zuverlässig speichern – und das für lange Zeit. Lange Rede, kurzer Sinne: Dank ihrer vielen Vorteile könnten geothermische Anlagen die Allroundtalente der Zukunft werden.
 

Warum Geothermie ein Allroundtalent ist

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, weshalb Geothermie nicht bereits viel weiter verbreitet ist? Aus meiner Sicht liegt dies vor allem in drei Aspekten begründet. Erstens eilt der Geothermie – ich habe es bereits beschrieben – nach wie vor ein schlechter Ruf voraus. Viele Bürger:innen haben Bedenken, wenn in ihrer Region entsprechende Projekte geplant werden. Diese Angst ist meiner Meinung nach unbegründet. Fakt ist, dass es in Deutschland und Europa keinerlei Erdwärmebohrungen gab, die zu Personenschäden geführt haben. Die Vorteile, die die Geothermie uns als erneuerbare Energiequelle bietet, überwiegen klar. Zweitens sind die regulatorischen Vorgaben in Deutschland sehr komplex – ähnlich wie bei Photovoltaik und bei Windenergie. Sie finden sich im Bergrecht und im Wasserrecht, das sich von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. Das macht die Prozesse kompliziert und aufwendig. Es ist unbestritten, dass Grundwasserschutz wichtig ist. Allerdings steht das, wenn richtig gemacht, in keinerlei Konflikt zu den erneuerbaren Energien. Ich meine daher, dass es unabdingbar ist, das Wasserrecht dem Druck der Energiewende anzupassen. Auflagen und Genehmigungen müssen deutlich einfacher werden. Ein guter Weg dorthin ist ein Ampelkartensystem, wie es derzeit bei dem vom Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) geleiteten Forschungsprojekt „WärmeGut“ erarbeitet wird. Ziel ist eine bundesweit einheitliche Geothermie-Potenzialkarte, die eine solide Entscheidungsgrundlage bietet und den Rollout von Erdwärmeanlagen enorm beschleunigen könnte. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert und soll in drei Jahren Ergebnisse vorlegen. Und zum sogenannten Bergrecht: Nach aktueller Rechtslage gehört die Wärme im Erdreich demjenigen, dem das Grundstück gehört. Dass dies gegenüber Nachbar:innen schnell kompliziert wird und in der Praxis gut geplant werden muss, können Sie sich sicherlich vorstellen. Hier lohnt sich ein Blick über die Grenzen: Beispielsweise gibt es in den Niederlanden umfangreiche Bodenenergiepläne, Schweden gilt ebenfalls als Vorreiter. Apropos andere Länder: Interessanterweise werden Geothermie und Wärmepumpen in den USA aktuell im Rahmen des „Inflation Reduction Act of 2022“ massiv gepusht. Ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung zu uns herüberschwappen wird. Das wird geothermische Anlagen hierzulande beflügeln.

 

Mit Geothermie in die Klimaneutralität

Einen Aspekt bin ich Ihnen noch schuldig: die geringe Bohrkapazität. Sie stellt für mich den engsten Flaschenhals dar, um die Wärmeversorgung mit Geothermie in großem Stil voranzubringen. Wir benötigen mehr Personal, sehr viel mehr Personal. Die Bohrunternehmen, die wir heute in Deutschland haben, werden den wachsenden Bedarf nicht stemmen können. Schon heute ist die Nachfrage nach Bohrkapazitäten deutlich größer als das Angebot. Deshalb müssen zum einen ausländische Betriebe auf dem deutschen Markt zugelassen werden, die zertifiziert sind und somit höchste Anforderungen bei Brunnenarbeiten und Bohrungen erfüllen. Zum anderen braucht es einheitliche Ausbildungsstandards für Brunnenbohrer:innen, damit wir unseren Bedarf an Fachleuten aus dem Ausland decken können. Entsprechende Initiativen gibt es bereits; allerdings benötigen solche Prozesse ihre Zeit. Zeit, die wir angesichts der happigen Energiepreise und des Klimawandels nicht haben. Deshalb lautet meine These, dass sich deutsche Geothermieprojekte im neuen Jahr 2023 auf gewerbliche Großprojekte konzentrieren werden. Im Privatbereich werden unsere Häuslebauer wohl künftig auf Luft-Wärmepumpen statt erdgekoppelten Wärmepumpen setzen – zunehmend aus Asien. Ändern wird sich diese Situation erst, wenn sich die regulatorischen und politischen Voraussetzungen gewandelt haben. Dann werden wir das Potenzial von Geothermie als natürliche, nicht-fossile, erneuerbare Energiequelle voll ausschöpfen können.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein? Ist Geothermie auch für Sie ein großer Schatz – und haben Sie weitere Ideen, wie wir den Weg vom Nischen- in den Massenmarkt forcieren können? Ich freue mich, wenn Sie mir dazu schreiben!

Herzlichst

Rüdiger Grimm
Geschäftsführer geoENERGIE Konzept

Unser Experte

Rüdiger Grimm
Rüdiger Grimm ist Geschäftsführer des Geothermie-Planungsunternehmens geoENERGIE Konzept GmbH, das seit 2020 Teil von ENGIE ist. geoENERGIE Konzept hat bisher über 2.000 Geothermie-Projekte in ganz Deutschland und Europa realisiert - darunter einige der größten Erdwärme-Anlagen in Deutschland. Rüdiger Grimm ist Boardmitglied des Europäischen Geothermieverbands (EGEC) und arbeitet im Bundesverband Geothermie (BVG) sowie im Bundesverband Wärmepumpe (BWP) aktiv an der Gestaltung des Marktumfeldes mit. Seit über 10 Jahren ist er auch als Gastdozent an der TU Bergakademie Freiberg und der Bauhaus Universität Weimar tätig.

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