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Photovoltaik in der Architektur - zwischen Gebäudetechnik und Gestaltung

29. Oktober 2020

Ein Gastbeitrag von Dr. Burkard Schulze-Darup

Wir schauten uns zunächst amüsiert aber zugleich erstaunt an, als ein Kollege fragte: „Was ist Photovoltaik für euch – Gebäudetechnik oder Gestaltungselement?“ Coronagerecht saßen wir in einem Biergarten mit ausreichend Abstand beisammen und ließen die Diskussionen eines ereignisreichen Tages nachschwingen. Die Preissitzung eines Architekturwettbewerbes lag hinter uns. Den ganzen Tag hatte es einen mitunter grenzwertig intensiven argumentativen Schlagabtausch gegeben, über gestalterische Einschätzungen, Empfindungen und Architekturverständnis. Wie immer lief das Ganze ausgesprochen distinguiert ab. Niemals würde in solch hehren Runden jemand laut werden. Aber die Argumente zur Qualität der Entwürfe, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und natürlich zu den Klimaschutzaspekten waren bisweilen wie mit dem spitzen Florett serviert worden.

Auch heute war es wieder so gewesen, dass wir intensiv darum gerungen hatten, welche der guten Entwürfe tatsächlich nachhaltig waren – und welchen nach Fertigstellung die Attitüde aufgestempelt worden war. Inzwischen gab es nur noch wenige Wettbewerbsarchitekt*innen, die nicht von einem Grundkonsens hoher Gebäudeeffizienz ausgingen. Die U-Wert-Listen oder eingängigen Beschreibungen des KfW EH 40- oder Passivhaus-Standards waren ebenso Standard, wie die durchweg guten Konstruktionsdetails mit technisch und gestalterisch gut gelösten hohen Dämmdicken.

Hohe Gebäudeeffizienz ist Standard, aber die Photovoltaik?

„Lässt sich die PV-Frage nach der heutigen Sitzung nicht einfach beantworten? Die Wettbewerbsgewinner*innen haben es doch wunderbar gelöst…“

„… vor allem Nummer 1052!“ einhelliges Gelächter in der Runde. Das war der Entwurf, der weit nach vorne gekommen war, obwohl die PV-Elemente offensichtlich in der letzten Nachtsitzung mit Gewalt in das architektonische Konzept gezwängt worden waren.

„Klar! Aber alle anderen Entwürfe auf den ersten Plätzen weisen hervorragende gestalterische Ansätze auf. Im Dachbereich wurden die Photovoltaikmodule flächig integriert und ein Teil der Entwürfe wies eine hochwertige Fassadengestaltung mit integrierten Photovoltaikmodulen auf, wobei einzelne Architekt*innen bereits die Rastermaße von Standardmodulen berücksichtigt hatten.“ F. geriet ins Dozieren. „Und? Was ist PV jetzt: Gebäudetechnik oder Gestaltung?“

Photovoltaikmodule als Mittel hochwertiger Architektur

Die Antwort war in dieser Runde völlig klar. „Gestaltungswirksame Gebäudetechnik…!“ Die sich anschließende Diskussion zeigte sehr deutlich auf, dass wir uns an der Schwelle befinden, PV-Module als Mittel hochwertiger Architektur zu nutzen. Vorbei sind die Zeiten, extrem teure Absorber mit aufwändigen und hässlichen Unterkonstruktionen oder gar als sonnennachgeführte Segel auf den Dächern zu installieren, um jede nur mögliche Kilowattstunde einzusammeln. Die Quadratmeterpreise von PV-Elementen liegen niedriger als die für hochwertige Fassadenbekleidungen. Noch konzentrieren sich die Planer*innen auf die Nutzung der Dachflächen. Aber es ist nur noch ein kleiner Schritt, bis fassadenintegrierte Systeme konkurrenzfähig werden.

Die Diskussion nach der Wettbewerbssitzung zeigte allerdings die Notwendigkeit auf, bereits bei der Grundlagenermittlung und in den ersten Vorentwurfsstadien die Anforderungen erneuerbarer Systeme und deren gebäudetechnische Wirksamkeit einzubeziehen. Das erfordert entweder Architekturgeneralisten mit viel Wissen um regenerative Gebäudetechnik oder erfolgreich agierende integrale Planungsteams ab der ersten Leistungsphase. Hochwertige Planungen ermöglichen nicht nur die PV-Integration als gestalterische Chance, sondern führen zu einer hochwertigen langfristigen Wirtschaftlichkeit.

Das Gegenmodell ist dagegen nach wie vor gängig. Architekt*innen erstellen den Entwurf, der Bauherr oder die Bauherrin gibt nach einigen Änderungsrunden den Segen und erst dann kommen Energieberater*innen, Gebäudetechniker*innen und bei komplexen Gebäuden weitere Fachingenieur*innen und machen das Beste draus. Hinsichtlich der PV-Planung geht es einzig um die Frage „Wieviel passt aufs Dach?“ Kurzum: PV als eher lästige Gebäudetechnik.

Die grundlegende Feststellung lautet allerdings: Solange Klimaschutz als notwendiges Übel bei der Planung gesehen wird und nur ambitionierte Planer*innen gute Lösungen – meist mit erhöhtem Überzeugungs- und Planungsaufwand – umsetzen, machen die Erneuerbaren keine wirkliche Freude. Die Hemmnisse kennen wir alle: vor allem sind es Entscheider*innen, die nur auf den Invest schauen und weder Bewusstsein noch Wissen zu Lebenszyklusbilanzen aufweisen.

Gebäudetechnik mit PV und Wärmepumpen ist kleiner und weniger anfällig

Uns Architekt*innen ist sehr bewusst, dass es unsere originäre Aufgabe ist, Photovoltaik mit hoher gestalterischer, gebäudetechnischer und wirtschaftlicher Qualität in die Siedlungsstrukturen zu integrieren. Das ist eine Herausforderung, für die wir nur bedingt ausgebildet sind, die aber in den nächsten Jahren zur Selbstverständlichkeit wird. Wie bei vielen innovativen Ansätzen geht es ums Learning by doing. Die ersten ein, zwei Projekte sind mühsam. Dann fängt es aber an, Spaß zu machen.

Alle Kolleg*innen, die sich eingearbeitet haben, stellen fest, dass die „neuen“ erneuerbaren Gebäudetechniksysteme z.B. mit PV und Wärmepumpen, sehr viel einfacher, „kleiner“ und weniger anfällig sind als manch komplexe Versorgungskonzepte der Vergangenheit. In Verbindung mit einer energieeffizienten Gebäudehülle liegen die Bedarfswerte für Heizen und Warmwasserbereitung plötzlich deutlich unter denen des Haushaltsstroms. Außerdem erreichen wir Plusenergiebilanzen, durch die wir nicht nur effektiven Klimaschutz betreiben, sondern auch für langfristig niedrige Wohnkosten sorgen. Wie bereits erwähnt: die beste Investition in die Zukunft.

Quelle: Der Artikel ist erstmalig am 22. September 2020 im Mieterstrom-Magazin von Solarimo erschienen.

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Unser Experte

Dr. Schulze Darup
Dr. Schulze Darup ist freischaffender Architekt und Stadtplaner. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Durchführung und Begleitung von Sanierungs- und Neubauprojekten im Bereich des nachhaltigen und energieeffizienten Bauens, v.a. die Erzielung von Plusenergie-Konzepten und die Übertragung innovativer Neubautechnik auf den Bestand unter Bewahrung der Baukultur.

Dabei haben städtebauliche Fragen und Quartierskonzepte zunehmend eine große Bedeutung, unter Einbeziehung innovativer Versorgungslösungen und den Chancen neuer Mobilitätskonzepte.

Darüber hinaus beschäftigt er sich - neben zahlreichen Forschungsvorhaben und Veröffentlichungen in den letzten Jahren - mit der Fragestellung, wie unser Gebäudebestand bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen kann.

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