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Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft: Welche Investitionskriterien jetzt wichtig werden

28. September 2021

Mit ihren Taxonomie-Kriterien macht die EU die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten und Investitionen zukünftig messbar und definiert konkrete Anforderungen – auch und gerade für den Immobilienbereich. Welche Auswirkungen hat die EU-Taxonomie-Verordnung auf die Immobilienwirtschaft? Wo liegen die Chancen und Herausforderungen? Und wo lässt sich ein Zusammenhang zu den ESG-Nachhaltigkeitsaspekten herstellen? Im Interview: Jan von Mallinckrodt, Head of Sustainability bei Union Investment Real Estate.

Was bedeutet die EU-Taxonomie für die Immobilienwirtschaft?

Die EU-Taxonomie regelt, was genau im Rahmen des europäischen Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums (EU Action Plan on Sustainable Finance) als nachhaltig gilt. Sechs Ziele deckt die Taxonomie dabei ab:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling
  5. Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung
  6. Schutz gesunder Ökosysteme

Wichtig:

Damit eine Tätigkeit in die Taxonomie aufgenommen, also als nachhaltig klassifiziert, werden kann, muss sie zu mindestens einem der ökologischen Ziele einen substanziellen Beitrag leisten und darf keines der anderen Ziele schädigen (Do No Significant Harm, kurz DNSH-Regel).

Die Immobilienwirtschaft wird dabei in vier Bereiche kategorisiert: Neubau, Renovierung, Kauf und Bestand sowie individuelle Maßnahmen. Als nachhaltige Gebäude im Bestand gelten Objekte, die über ein EPC Rating von A verfügen oder deren Primärenergiebedarf durch eine Sanierung um mindestens 30 Prozent gesenkt wird. Letzteres würde dann in die Kategorie Renovierung fallen.

Für Neubauten, also Objekte, die ab 2021 fertiggestellt werden, gilt: Sie müssen 10 Prozent weniger Primärenergie verbrauchen als ein Niedrigstenergiegebäude nach lokaler Definition. Die Immobilie muss außerdem widerstandsfähig gegenüber dem Klimawandel sein, basierend auf Szenarien zu Klimaprojektionen über den Lebenszyklus des Objekts, mindestens aber für 30 Jahre ab dem Zeitpunkt des Investments.

Bei Neubauten und Renovierungen muss unter anderem mindestens 70 Prozent (nach Gewicht) des Bau- und Abbruchmülls recycelt und es darf kein Asbest oder anderer Gefahrenstoff verbaut werden. Zudem sind wassersparsame Armaturen und Wassernutzungs- und Wasserschutzmanagementpläne vorgeschrieben.

Grundsätzlich gilt:

Die Anwendung der Taxonomie ist freiwillig, wenn die Investments nicht ausdrücklich als nachhaltig ausgewiesen werden. Allerdings dürfte durchaus ein Wettbewerbsnachteil entstehen und die Investorennachfrage sinken, wenn man sich als einer der wenigen Marktteilnehmer nicht an die neuen Standards anpasst und den Nachhaltigkeitsgrad eines Objektes oder eines Portfolios angibt.

Welche Rolle spielt die EU-Taxonomie in Ihren Immobilienportfolien?

Der Aspekt der Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft, insbesondere in Verbindung mit der EU-Taxonomie, ist für uns ein wichtiges Thema. Wir sind gefordert, unserer Verantwortung gerecht zu werden und unseren Beitrag zu leisten. Bei Union Investment ist Nachhaltigkeit bereits seit rund 15 Jahren ein zentraler Baustein und strategisch fest verankert. Im Immobilienbereich kümmert sich ein siebenköpfiges Expertenteam auf der Grundlage etablierter Bewertungssysteme seit 2009 um die Umsetzung und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie. Im Jahr 2018 hat sich Union Investment mit der Manage-to-Green-Strategie zudem das Ziel gesetzt, das Immobilienportfolio bis 2050 klimaneutral aufzustellen.

Ganz praktisch gesehen, werden in jedem Ankaufsprozess die ESG-Kriterien eines Objektes oder einer Projektentwicklung mit Hilfe unseres hauseigenen Sustainable Investment Checks, kurz SI-Check, überprüft. Außerdem werden unsere Bestandsgebäude einmal pro Jahr analysiert, um Potenzial für eine kontinuierliche Verbesserung der Nachhaltigkeits-Performance aufzuzeigen. Der SI-Check erfasst insgesamt sieben Kategorien, darunter gebäudestrukturrelevante Daten, Maßnahmen im Betrieb und den Nutzerkomfort. Die Objekte können eine Bewertung zwischen 0 und 5 erzielen. So wissen wir frühzeitig, welche Stärken und Schwächen das Gebäude hat und was kurz- oder mittelfristig getan werden muss.


Warum ist das Thema ESG (Environment, Social und Governance) so wichtig für Sie geworden?

Spätestens seit dem Pariser Klimaschutzabkommen und der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 steht fest: Es ist keine Frage mehr ob, sondern nur noch wie Nachhaltigkeit beziehungsweise Klimaschutz in der Immobilienwirtschaft umgesetzt wird. Um die ambitionierten Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, dürften in den kommenden Jahren lokale Gesetze, Verordnungen und Bauvorschriften der Mitgliedsstaaten immer weiter verschärft werden.

Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das von Deutschland einen strengeren Klimaschutz einfordert, ist da nur ein weiteres klares Zeichen in Richtung Nachhaltigkeit. Und sogar der UN-Klimarat hat in seinem letzten Bericht bestätigt, dass der Mensch das Klima verändert und nun schnelles Handeln gefragt ist, um den Klimawandel zu bremsen. Die Bestimmungen der jeweiligen Gesetze könnten auch noch mit Sanktionen verbunden werden, wenn Bestandshalter ihr Portfolio nicht entlang des aufgezeigten Klimapfads weiterentwickeln. In einigen Ländern wurden bereits entsprechende Regulierungen verabschiedet.

Auch immer mehr große Unternehmen werden Druck auf die Immobilieneigentümer ausüben, um ihre Flächen nachhaltig zu gestalten – teilweise gezwungenermaßen: So hat das Bezirksgerichts von Den Haag beispielsweise den Ölkonzern Shell dazu verurteilt, den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken. An der Dekarbonisierung des Immobilienbestands führt einfach kein Weg vorbei.
Und was auch klar sein muss: Die Finanzbranche spielt hier eine Schlüsselrolle, da sie Investitionen in nachhaltige Geldanlagen lenken kann. Das wir dies allerdings gewissenhaft machen sollten, hat erst der kürzliche Vorwurf des Greenwashings im Finanzsektor gezeigt.


Worin besteht der Zusammenhang zwischen Taxonomie und dem Themenkomplex ESG?

Die Taxonomie deckt vor allem das „E“ in den ESG-Kriterien ab, den Umweltschutz. Schließlich sind Maßnahmen wie die energetische Optimierung von Gebäuden, die unter das „E“ fallen, auch jene Maßnahmen, die besonders stark dazu beitragen, die Klimaerwärmung zu begrenzen. Für uns als Investor und Bestandshalter sind aber auch die sozialen Mindestanforderungen von entscheidender Bedeutung. Letztere ergeben sich aus den Kernarbeitsnormen der ILO, den OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen sowie den UN-Prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der Internationalen Charta der Menschenrechte.

Um die nachhaltige Transformation zu ermöglichen, sind erhebliche Investitionen notwendig, die sozialverträglich erfolgen sollten. Zudem ist in unserem Geschäftsfeld entscheidend, dass die Nutzer – also unsere Mieter – den Mehrwert der Nachhaltigkeit für Gebäude erkennen, wertschätzen und gemeinsam mit uns den Weg beschreiten.


Jetzt eine ketzerische Frage: Ist dieses Thema nicht primär politisch getrieben und werden die Mieter eh nicht in der Lage sein bzw. bereit sein, das zu bezahlen?

Wie gesagt: Nachhaltigkeit ist keine Kür mehr, sondern Pflicht. An der Dekarbonisierung führt kein Weg vorbei, wenn der Klimawandel gebremst werden soll. Gleichzeitig können unsere Gebäude aber in der Tat nur gemeinsam mit ihren Nutzern – unseren Mietern – betrachtet werden. Außerdem gehören die Immobilien unseren Kunden, den Anlegern. Deshalb spielen die Kommunikation und Sensibilisierung eine entscheidende Rolle. Schließlich kann der Mieter von mehr Nachhaltigkeit im Gebäude durchaus profitieren, insbesondere durch sinkende Nebenkosten.

 

„Immobilien, an denen man heute nichts tut, sind morgen nichts mehr wert“

Jan von Mallinckrodt,
Head of Sustainability bei Union Investment Real Estate

 

Stichwort „Stranded Assets“: Können Sie uns diesen Begriff bitte kurz erläutern?

Als „Stranded Asset“ bezeichnet man eine Immobilie, deren Wert unerwartet stark sinkt. Absehbar ist beispielsweise, dass Investment Manager, die politische Klimazielvorgaben ignorieren, mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen haben. Nachteile können sich entweder in Form möglicher Sanktionen wie CO2-Abgaben ergeben oder durch eine kontinuierliche Abwertung betroffener Immobilien im Rahmen der regelmäßigen und gesetzlich vorgeschriebenen Bewertungsrunden der unabhängigen Immobiliensachverständigen. Ein durchaus realistisches Szenario ist, dass einzelne, Immobilien mit besonders hohem CO2-Ausstoß soweit abgewertet werden, dass sie sich am gewerblichen Immobilienmarkt nicht mehr handeln lassen und dadurch „stranden“.


Was bedeuten „Stranded Assets“ im Rahmen Ihrer Investitionspolitik und wir gehen sie damit vor dem Hintergrund der Klimaschutzziele um?

In unserem Portfolio befinden sich aktuell keine „Stranded Assets“, denn wir haben eine klare Strategie, wie wir unseren Immobilienbestand in einen nachhaltigen Bestand transformieren. Wir nennen dies die „Manage to Green“-Strategie. Wir überprüfen beispielsweise die Energieverbräuche und Emissionen unserer Gebäude und vergleichen diese untereinander. Hat ein Gebäude überdurchschnittliche hohe Verbräuche, gehen wir diesen mit Hilfe unserer Property Manager auf den Grund. In einigen Gebäuden haben wir zudem bereits Energiemonitoringsysteme installiert. Damit können die komplexen technischen Anlagen so präzise gesteuert werden, dass erhebliche Einsparungen im Energieverbrauch erzielt werden können. Vor Jahren haben wir zudem alle unsere Immobilien in Deutschland auf Ökostrom in den Allgemeinflächen umgestellt und dies mittlerweile auf einige europäische Länder ausgeweitet. Wann immer es sinnvoll ist, wird die herkömmliche Beleuchtung außerdem durch LED´s ausgetauscht.

Oft kann schon mit einfachen Maßnahmen eine Verbesserung erzielt werden. Man muss nur das Problem erkennen. Zum Management der komplexen Daten setzen wir mit „ImmoSustain“ eine spezielle Software ein, die eigens für Union Investment weiterentwickelt und angepasst wurde. Hier kommen mittlerweile natürlich auch Technologien wie künstliche Intelligenz zum Einsatz, die die Arbeit mit den Daten für alle Beteiligten deutlich erleichtert und weniger anfällig für Fehler macht. So lesen wir beispielsweise die Verbrauchsdaten einer Immobilie automatisch aus den Versorgerrechnungen aus.


Stichwort: Investor-Nutzer-Dilemma: Wie lösen Sie dieses altbekannte Dilemma vor dem Hintergrund der CO2- und Klimaschutz-Ziele? Wie wirken sich die vorgenannten Themen auf die Mieten aus? Steigen die nicht automatisch?

Das Investor-Nutzer-Dilemma verlangsamt die nachhaltige Transformation des Immobilienbestands, so viel steht fest. Denn die Mieten steigen nicht automatisch. Der Investor und damit der Eigentümer der Immobilie zahlt die Kosten für die Dekarbonisierung beziehungsweise die energetische Optimierung, kann die Aufwendungen in der Regel aber eben nicht auf den Nutzer umlegen, der wiederum in Form von niedrigeren Nebenkosten profitiert.

Das Investor-Nutzer-Dilemma ist seit Jahren ein ungelöstes Thema. Hier gilt es, eine ausgewogene Lösung zu finden, die Kosten gerecht zu verteilen und Hürden zu minimieren. Auch die Politik ist gefordert, die nachhaltige Transformation nun wirklich zu ermöglichen.

Was würden Sie uns als Energiedienstleister raten, um Ihnen die Schmerzen auch auf diesem doch sehr schweren Weg zu nehmen

Für uns sind insbesondere die Verbräuche der Immobilien relevant. Sie ermöglichen es, uns Optimierungen abzuleiten und sinnvolle Maßnahmen an und in den Gebäuden umzusetzen. Allerdings ist es nicht ganz einfach, die entsprechenden Daten zu erhalten. Häufig wird uns nur der Stromverbrauch der sogenannten Allgemeinflächen mitgeteilt. Bei den Mieterverbräuchen sind wir auf das Einverständnis unserer Nutzer angewiesen. Wir haben schon viele Anstrengungen unternommen, um an diese Daten zu gelangen, aber es bleibt schwierig. Dabei sind wir nicht an den Daten des einzelnen Mieters interessiert, sondern wollen nur den Gesamtverbrauch der Immobilie berechnen. Denn nur so ist es uns möglich, die Immobilien richtig einzuschätzen.

Eine Möglichkeit, dieses Dilemma zu lösen, wäre unserer Meinung nach, dass die Versorger und Energiedienstleister uns die Daten zur Verfügung stellen. Diese berufen sich allerdings meistens auf den Datenschutz und stellen uns die Verbräuche für Multitenant-Objekte nicht zur Verfügung. Hier wäre eine unkomplizierte Lösung sehr wünschenswert, denn nur gemeinsam können wir die enormen Anstrengungen zur Erfüllung der Anforderungen an die Immobilienwirtschaft und der Begrenzung des Klimawandels meistern.

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Unser Experte

Jan von Mallinckrodt
Jan von Mallinckrodt startete im April 2013 bei Union Investment. Als Leiter der Segmententwicklung Immobilien verantwortete er zunächst neben dem Thema Nachhaltigkeit auch das Business Development, die Digitalisierung, das IT-Projektportfolio sowie die Prozesse und Organisationsentwicklung im Immobilienbereich. Seit dem Start der Manage-to-Green-Strategie im Jahr 2018 konzentriert er sich als Head of Sustainability ausschließlich auf das Thema Nachhaltigkeit.

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