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Holismus für klimaneutrale Datacenter

16. März 2021

Gastbeitrag von Monika Graß, Grass Consulting

Spätestens mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist uns deutlich vor Augen geführt worden, dass die Zukunft Europas auch von der weiteren Digitalisierung abhängt. So setzen zum Beispiel Unternehmen und Arbeitnehmer:innen seit Pandemiebeginn stark auf digitale Arbeitsformen, um ihre Geschäftsaktivitäten auch in Lockdown-Zeiten aufrecht zu erhalten. Knotenpunkte dieser zunehmend wichtigeren digitalen Lebenslinien sind die Datacenter. Sie stehen mittlerweile für mindestens 1 % des globalen Energiebedarfs. 2018 hat allein Google global 2,26 Milliarden kWh Strom verbraucht und rund 906 kt CO2 emittiert.

Wie sich die rasant zunehmende Digitalisierung langfristig auf den Energie- und Ressourcenbedarf auswirken wird, ist noch nicht absehbar. Aktuell ist ein Rebound-Effekt zu verzeichnen, was bedeutet, dass die technischen Produkte zwar immer effizienter werden, die Effizienzsteigerung aber gleichzeitig zu einer zunehmenden Nutzung der Produkte führt. Ziel muss es sein, dass die Digitalisierung dazu beiträgt, sowohl den Energieverbrauch als auch die Nutzung natürlicher Ressourcen substantiell zu verringern.

Grüne Datacenter für Europa

Für das weitere digitale Wachstum braucht es in Europa eine zuverlässige Datacenter-Infrastruktur. Ganz im Sinne des europäischen Green Deal hat auch der Pakt für klimaneutrale Datacenter das Ziel, die Rechenzentren in Europa bis 2030 klimaneutral zu betreiben. Dieses Ziel soll im Wesentlichen durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

  • Energieeffizienz
    Bis 01/2025 sollen neue Datacenter mit einem PUE* von 1,3 bis 1,4 im Jahresdurchschnitt bei voller Auslastung arbeiten. Bis 01/2030 soll dieses Ziel auch für existierende Datacenter erreicht werden.
     
  • Saubere Energie
    Bis 12/2025 sollen Datacenter mit 75 % erneuerbarer Energie arbeiten und bis 12/2030 mit 100 %.
     
  • Wassereffizienz
    Wasser wird in Datacentern insbesondere zur Kühlung der IT-Ressourcen verwendet. Der Wasserverbrauch in Datacentern soll reduziert werden. Bis 2022 sollen die Datacenter-Provider jährliche Ziele für die Wassernutzungseffektivität** definieren, die dann für neue Datacenter bis 2025 und für existierende Objekte bis ins Jahr 2030 zu erreichen sind.
     
  • Kreislaufwirtschaft (Circular economy)
    Die Wiederverwendung, Reparatur und das Recycling von Servern sowie elektronischen Komponenten soll bei den Datacenter-Providern priorisiert werden. Dazu zählt auch der Einsatz derartiger Komponenten bei Neu-Investitionen.
     
  • Kreislauf der Energie-Systeme
    Die Nutzung der Abwärme von Datacentern soll ausgebaut werden. Einige erste Projekte sind europaweit bekannt, beispielsweise durch Nutzung der Wärme per Abgabe an eine Hotel- und Gebäude-Infrastruktur, Gardening-Projekte (z.B. Algen- und Hanfanbau) sowie Einspeisung in Fernwärmenetze. Aktuell sind die Temperaturen der Abwärme allerdings meist zu niedrig, um diese ohne Einsatz wiederum energieverbrauchender Wärmepumpen zu verwenden.
     

*Power Usage Effectiveness: Technische Kennzahl, mit der sich die Energie-Effizienz eines Rechenzentrums darstellen lässt. Der PUE-Wert setzt die insgesamt in einem Rechenzentrum verbrauchte Energie ins Verhältnis zur Energieaufnahme der IT-Infrastruktur

** Water Usage Effectiveness (WUE): Basierend auf The Green Grid

 

Klimaneutralität ohne Kompensation – ist das möglich?

Es stellt sich die Frage, ob diese Maßnahmen ausreichen werden, um klimaneutrale Datacenter ohne Kompensation durch Herkunftsnachweise und Zertifikate zu erreichen. Welche weiteren Beiträge können Datacenter-Betreiber leisten?

Aus meiner Sicht müssen wir weitere Aspekte aufgreifen. Einige Gedanken:

  • Ganzheitliche (holistische) Betrachtung von Steuerung und Betrieb
    Das reibungslose Zusammenwirken von DC-Infrastruktur, IT-Infrastruktur, Netzwerken, Prozessen und Applikationen ist für einen effizienten und hochverfügbaren Datacenterbetrieb unumgänglich. In der Praxis werden die verschiedenen Systemebenen und Gewerke meist nur isoliert betrachtet – eine übergreifende Kommunikation findet nicht statt.
     
  • Digitaler Zwilling für nachhaltigen Betrieb
    BIM-Systeme (Building Information Modeling) sollten über den gesamten Lebenszyklus eines Datacenters eingesetzt werden. Insbesondere für den Betrieb sehe ich hier essentielle Vorteile und Ansätze zur Optimierung. Auch die Fehlerfrüherkennung und die vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance) tragen zur Nachhaltigkeit bei. Mit dem Digitalen Zwilling des Gebäudes, aber auch der Anlagen und dem Know-how aus unterschiedlichen Installationen kann der Ressourceneinsatz nachhaltig optimiert werden.
     
  • Automation für optimierte Abläufe
    Robotics und künstliche Intelligenz können die Prozesse und Abläufe im Datacenter optimieren und auch einen Beitrag zur Energieeffizienz leisten.
     
  • Smarte Planung
    Die Aspekte für die Planung umfassen u.a. Standort, Umgebung, Nutzungsart, Größe, Leistungsdaten, Verfügbarkeitsklasse und Kunden. Alle Leistungsparameter und -aspekte sind optimal aufeinander abzustimmen, zu hinterfragen und bei der Auswahl der Komponenten als Grundlage heranzuziehen. Ein Quartiers-Datacenter könnte beispielsweise von den angesiedelten Unternehmen gemeinschaftlich genutzt und somit Redundanzen vermieden werden. Zusätzlich könnte die Wärme an die Gebäude abgegeben und es könnten Wege reduziert werden. Auch in puncto Leistungsfähigkeit gibt es Optimierungsansätze. Die Auslegung der Leistungsparameter der Datacenter ist dabei von grundlegender Bedeutung. Denn jedes zu viel verplante Kilowatt belastet die Kosten- und CO2-Bilanz. Anders gefragt: Warum zwei TIER III Datacenter betreiben, wenn das Unternehmen gesamtheitlich redundante Systeme hat? Würde in so einem Fall nicht auch zweimal TIER II ausreichen?
     
  • Förderung und Einsatz von Innovationen
    Die Datacenter-Industrie ist größtenteils konservativ geprägt. Innovationen sind eher selten und werden nur zögerlich angenommen. Die ambitionierten Klimaziele lassen sich aber nur durch wirtschaftliche und innovative Ansätze zur Abwärmenutzung, Alternativen zur Notstromversorgung, den Einsatz von Energiespeichern, höhere Temperaturen im Datacenter u.v.m. erreichen. Wir benötigen Think Tanks, Zukunftslabs und Unternehmen, die über den eigenen Tellerrand schauen, um Nachhaltigkeitsinnovationen zu entwickeln, zu transformieren und zu verbreiten.
     
  • Nachhaltigkeitsziele einfordern
    Für den gesamten Life-Cycle eines Datacenters sollten die 17 Nachhaltigkeitsziele präsent sein und sowohl bei der Beschaffung, den Rohprodukten, der Herstellung, dem Betrieb und der Entsorgung von allen Beteiligten verfolgt und gefordert werden. Und Partner solch nachhaltig agierender Datacenter-Betreiber sind Unternehmen, die diese Ziele ebenfalls verfolgen.

Mein Fazit

Der Pakt für klimaneutrale Datacenter erfordert Holismus – wir müssen alle Eigenschaften und den Life-Cycle von Datacentern gesamtheitlich betrachten und nicht nur als Zusammensetzung einzelner Teile. Wie ist Ihr Fazit? Welche Anforderungen sehen Sie für Datacenter auf dem Weg zur Klimaneutralität? Ich freue mich auf einen Austausch mit Ihnen, gerne über office@grass-cm.de oder auch über Lars Bennefeld, Vertriebsleiter Datacenter der ENGIE Deutschland, lars.bennefeld@engie.com.

Unsere Expertin

Monika Graß
Monika Graß, Grass Consulting, ist seit 2005 als Expertin für Datacenter-Themen beratend tätig. Nachhaltigkeit, Innovationen und auch der Standort Deutschland für Datacenter sind ihr ein Anliegen. Mehr über Grass Consulting finden Sie unter grass-consulting.com.

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