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Eine Branche im Wandel: Welche Berufe im Gebäudesektor zukünftig wichtig werden

15. März 2022

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Bernd Döring

Etwa 30 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland stammen aus dem Gebäudesektor*. Wenn man berücksichtigt, dass mit Zement und Stahl CO2-intensive Produkte in die Erstellung von Gebäuden fließen und dass ein Teil der CO2-Emissionen, die der Industrie zugeordnet werden, durch den Betrieb der Industriegebäude verursacht werden, ergibt sich sogar ein noch höherer Wert.

Das Bewusstsein für diesen Zusammenhang ist in den letzten Jahren gestiegen, ebenso wie die Nachfrage nach nachhaltigen Gebäuden. Neue Gebäude werden zudem in der Regel „smart“ geplant, das heißt automatisiert und vernetzt.

Welche Anforderungen stellen sich vor dem Hintergrund dieser beiden Entwicklungen – dem Zeitalter der Klimaneutralität und der Digitalisierung – an die Berufe im Gebäudesektor der Zukunft? Hierüber haben wir mit Prof. Dr.-Ing. Bernd Döring gesprochen, Professor für Gebäudetechnik im Fachbereich Bauingenieurwesen der Fachhochschule Aachen.

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Bernd Döring, Professor an der FH Aachen im Fachbereich Bauingenieurwesen

Professor Döring, was sind aus Ihrer Sicht die größten Veränderungen im Gebäudesektor, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden?

Hier würde ich zwei große Themen nennen: Energieeffizienz und Digitalisierung. Wir haben in den letzten Jahren durchaus sehr energieeffiziente Gebäude als geförderte Vorzeigeobjekte realisiert – wenn wir aber die Selbstverpflichtungen ernst nehmen, die Deutschland gegenüber der Weltöffentlichkeit abgegeben hat und die in internationale Verträge geflossen sind, muss hier nochmals erheblich an Geschwindigkeit zugelegt werden. Anhand eines Indikators kann man das verdeutlichen: In den vergangenen zehn Jahren konnten die CO2-Emissionen in Deutschland um etwa 15 Mio. t jährlich gesenkt werden – zur Erreichung der Klimaziele müssen wir die Minderung in den nächsten zehn Jahren auf 30 bis 40 Mio. t jährlich bringen! Und zur Digitalisierung ist zu sagen, dass die Baubranche im Vergleich zu den bislang eher gering digitalisierten Branchen gehört – jetzt sind aber die Techniken da, die hier den Sprung nach vorne bedeuten können, Stichworte sind BIM, AR, VR. Auch wenn wir es in der Breite noch nicht richtig erkennen, dadurch wird sich das Planen und Bauen deutlich verändern.
 

Welche Berufsbilder sind zukünftig wichtig? Und wie gehen Sie mit veränderten Anforderungen an Berufsbilder als Fachhochschule um?

Die beiden genannten Themen fließen in die Ausbildung der Studierenden mit ein. Einerseits nehmen wir verstärkt Elemente der BIM-Planung und auch der Energieeffizienz und Nachhaltigkeitsbewertung in die vorhandenen Studiengänge Bauingenieurwesen, Architektur und Facility Management mit auf. Darüber hinaus haben wir an der FH Aachen seit 2018 den neuen Bachelorstudiengang Smart Building Engineering (SBE) im Angebot, der den Fokus genau darauf richtet: Betonung gebäudetechnischer Fächer, in denen die Fragen von Energieanwendung im Gebäude vertieft werden, in Verbindung mit nutzerorientierter Automatisierung und Digitalisierung des Betriebes (also "Smartification") sowie digitalen Planungstechniken und einem Grundwissen zur Architektur. Damit haben wir ein passgenaues Angebot für die aktuellen Herausforderungen.

 

Wie integrieren Sie Markt- und Arbeitgeberanforderungen in die Entwicklung neuer Studiengänge?

Gerade als Fachhochschule stehen wir in ständigem Austausch mit den Unternehmen der Branche einschließlich der öffentlichen Verwaltung, um unser "Produkt", nämlich die Ausbildungsleistung für die zukünftigen Ingenieure und Ingenieurinnen gut an den Bedarf des Marktes anzupassen.

Konkret kann man das am Beispiel des neuen Studiengangs SBE aufzeigen: Die Unternehmen der Region haben in entsprechenden Gesprächsformaten aufgezeigt, dass gerade hier ein Mangel an qualifiziertem Nachwuchs besteht. Dann wurden Workshops mit Hochschul- und Firmenvertretern organisiert, um die Bedarfe und die Möglichkeiten der Hochschule zusammenzubringen und schließlich ein Curriculum zu entwickeln. Im weiteren Verlauf wurden dann immer wieder Austauschrunden abgehalten, um im Gespräch zu bleiben. Bemerkenswert ist hier, dass die Unternehmen eine Stiftung zur Förderung gerade dieses Studiengangs gegründet und mit Finanzmitteln ausgestattet haben. Es gilt natürlich die Freiheit von Forschung und Lehre der Hochschulen, aber wir sehen uns als Hochschule dadurch besonders in der Pflicht, unsere Aktivitäten darzustellen und die Bedarfe der Arbeitgeber bei der Weiterentwicklung der Lehre zu berücksichtigen.

 

Deutschland wird traditionell als das Land der Ingenieur:innen bezeichnet. Und für eine klimaneutrale Zukunft wird neben viel Geld auch sehr viel technische Innovation nötig sein. Ist der Ingenieurberuf für junge Menschen weiterhin attraktiv – wie entwickeln sich Ihre Studierendenzahlen?

Die Zahl der Neueinschreibungen im Bereich des Bauingenieurwesens stagniert bzw. ist leicht rückläufig auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Anfang der 2000er Jahre hatten wir deutschlandweit etwa 6.000 Studienanfänger und -anfängerinnen in diesem Bereich, nach einem Peak von etwa 13.000 im Jahr 2011 sind wir heute bei etwa 11.000. Angesichts der Herausforderungen ist das viel zu wenig – wir haben es gleichzeitig mit der Energiewende, überalterter Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur, Wohnungsmangel etc. zu tun, und alle diese wachsenden Aufgaben bedienen sich auf dem nicht größer werdenden Markt der Nachwuchsingenieure und -ingenieurinnen. Also da ist sicher noch "Luft nach oben", um den Ingenieurberuf attraktiver zu machen.

 

Es heißt, die Digitalisierung soll Gebäude nicht nur schlauer, sondern auch nachhaltiger machen. Stimmen Sie dem zu? Und wie wirkt sich das auf die Ausbildung aus?

"Schlau" ist für ein Gebäude ja kein Selbstzweck – es werden konkrete Ziele damit verfolgt. Die häufig wirtschaftlichste Maßnahme zur Energieeinsparung und damit Umweltschonung ist die verbesserte Regelung: Gerade so viel Wärme, Kälte, Licht etc. zur richtigen Zeit an die richtige Stelle zu bringen, bedeutet eine Verbesserung der Nachhaltigkeit. Im SBE-Studiengang haben wir daher nennenswerte Anteile an Informatik und Mess-, Steuer- und Regelungstechnik mit aufgenommen, um die Absolventen und Absolventinnen hier gut vorzubereiten. In Zukunft werden wir dafür viel mehr mit KI-Lösungen, prädiktiven Regelungen und "Digitalen Zwillingen" arbeiten, also Techniken, die man als "schlau" bezeichnen könnte.

 

Ihre Student:innen sind ja mittlerweile „digital natives“, die mit digitalen Tools, Apps, Medien etc. groß geworden sind. Digitale Tools sind verlockend, weil alles sozusagen auf Knopfdruck zu funktionieren scheint. Wie sehen Sie das, verlieren wir durch die Digitalisierung analoge Kompetenzen, die Ingenieur:innen entwickeln sollten – technische Zusammenhänge zu erkennen, auf Plausibilität zu achten, Verhältnismäßigkeiten abschätzen zu können?

Für mich kann ich sagen, dass ich immer noch großen Wert auf eine Handrechnung lege und technisches Verständnis vermitteln möchte und dieses auch in Prüfungen abfrage. Die Studierenden sollen grundlegende Formeln beherrschen und ein Gefühl für sinnvolle Größenordnungen bekommen. Diese Denkweise finde ich auch bei vielen Kolleginnen und Kollegen. Wenn das gegeben ist, wird der Einsatz digitaler Planungstools zu einem "Booster" des eigenen Fachwissens – andernfalls kann man mit Vollgas auf die falsche Spur geraten.

 

Building Information Modeling (BIM) war in den letzten Jahren eines der großen Themen im Bau und der Gebäudetechnik. Auch wenn BIM-Methoden noch nicht flächendeckend in Deutschland eingesetzt werden – welcher Technologieschub kommt als nächstes, ist Künstliche Intelligenz das große Thema?

Das Thema BIM habe ich oben schon angesprochen – ja, das wird sich nach und nach durchsetzen. Wenn die nächste Generation damit schon im Studium vertraut gemacht worden ist, werden die Hürden zum Einsatz immer niedriger. Und an das BIM-Thema kann man dann vieles vergleichsweise rationell andocken: Ökobilanzierung, weil die Materialien und Massen bekannt sind, Simulationstechniken, weil die Eingabe der Gebäudegeometrie und der physikalischen Merkmale schon erfolgt ist, verbesserte Verfahren zur Energiebilanzierung, die gleichzeitig einfacher und genauer sind als die DIN V 18599 und dann natürlich weitere Nutzung der Daten im Facility Management. In dem Sinne will ich kein Prophet hinsichtlich eines nächsten Technologieschubs sein, sondern glaube, dass die Vernetzung der digitalen Lösungen weiter zunehmen wird – von der ersten Entwurfsskizze, die energetisch bewertet werden kann, bis hin zur Entsorgung, bei der man auch am Ende der Lebensdauer noch weiß, welche Produkte ursprünglich verwendet worden sind, um sie passend zu recyceln oder zu entsorgen.

 

Es wird viel darüber gesprochen, dass junge Menschen sinnstiftende Berufe suchen. Nehmen Sie eine Veränderung wahr? Spielt das Thema Nachhaltigkeit eine größere Rolle unter Studierenden?

Etwas mit "Umwelt" zu machen, ist schon eine Motivation für manche. Häufiger nehme ich bei Beratungsgesprächen aber Fragen nach den Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz wahr was angesichts der oben diskutieren Randbedingungen zu bejahen ist, wenn die persönliche Leistungsfähigkeit und -bereitschaft gegeben ist. Für den neuen Studiengang SBE ist an dieser Stelle bisweilen noch Überzeugungsarbeit erforderlich. Diejenigen, die sich darauf einlassen, erfahren dann aber auch einen persönlichen Gewinn daraus, dass sie aus dem Fächerkanon, der von "Smart Home" bis zur "Architekturgeschichte" reicht, eine große Horizonterweiterung erlangen. Dadurch können sie über das wichtige Handwerkszeug für den Berufsalltag hinaus zu echten Problemlösern gesellschaftlich relevanter Fragen werden. Und ja, das ist dann auch sinnstiftend.

* umweltbundesamt.de/themen

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Unser Experte

Bernd Döring
Prof. Dr.-Ing. Bernd Döring ist seit 2012 Professor an der FH Aachen im Fachbereich Bauingenieurwesen mit dem Lehrgebiet Gebäudetechnik. Er ist Leiter des Studiengangs Smart Building Engineering, an dessen Entwicklung er auch mitgewirkt hat. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen, wo er auch promoviert hat.

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